Gedanken für die Praxis – Nr. 45
"Dürfen" - ein Wort, vermeintlich höflich benutzt, das zweischneidig wirkt
Kommunikation ist das, was ankommt. Gut gemeint kommt manchmal schlecht an.
Stellen Sie sich die folgende Situation vor: Sie kommen als Kunde zu einer Beratung – sei es bei einer Bank, bei einem Autoverkäufer oder einem Rechtsanwalt oder sonst irgendwo. Um vermeintlich höflich zu wirken, sagt der Berater oder die Beraterin zu Ihnen: „Sie dürfen hier Platz nehmen.“ – Wie großzügig!
Und stellen Sie sich vor, die Beratung nähert sich dem Abschluss, gegebenenfalls einem Kaufabschluss, und Ihr Gegenüber will erneut höflich sein und sagt zu Ihnen: „Sie dürfen hier unterschreiben.“ – oft begleitet durch den ausgestreckten Zeigefinger und der (dominanten) Handbewegung von oben nach unten.
Ähnlichen Gebrauch von „dürfen“ finden Sie in zahlreichen Hotels und Restaurants: „Ich darf Ihnen die Speisekarte reichen.“, „Ich darf Ihnen die Suppe servieren.“, …
Ja, das mag vordergründig höflich klingen. Und ist in nahezu allen Fällen wohl auch höflich gemeint. Solche Formulierungen wurden im vermeintlich guten Glauben vermittelt, mit ihnen freundlich zu wirken – tatsächlich jedoch wurden sie schlecht antrainiert, weil unzureichend in ihrer Wirkung reflektiert!
Ein kurzer Blick in die Semantik hilft weiter: „Dürfen“ beinhaltet stets, dass jemand einem anderen etwas erlaubt. Und „erlauben“ ist – je nach Situation – stets mehr oder weniger stark mit Hierarchie, mit „in der besseren Position sein“, mit Gönnerhaftigkeit verbunden. „Sie dürfen hier Platz nehmen.“ heißt nichts anderes als: Ich erlaube es Ihnen und ich bestimme zugleich damit, welchen Platz ich Ihnen zuteile.
„Ich darf Ihnen die Speisekarte reichen“ oder „Ich darf Ihnen die Suppe servieren.“ lässt vom Wortsinn her vermuten, dass sich die Servicekraft die Erlaubnis zum „Auftritt“ vor dem Gast geholt hat, von wem auch immer. Doch Sie wie ich wissen, dass diese Interpretation natürlich im Einzelfall praxisfremd wäre. Nein, es ist schlichtweg eine Floskel, eine Sprach-Marotte, die hier zum Einsatz kommt. Unreflektiert dahingehend, wie sie beim „Empfänger“, beim Gast, ankommt. Und bei vielen kommt sie negativ an.
Nutzen Sie die Urlaubszeit – spitzen Sie Ihre Ohren – entdecken Sie solch schlecht praktizierte Kommunikation.
Lernen Sie daraus und prüfen Sie sich in Ihrem Arbeitsalltag selbst: Wie oft benutzen Sie „dürfen“? Wie meinen Sie das, was Sie sagen, und wie kommt es wohl bei Ihrem Gegenüber an? Macht es dahingehend mehr Sinn, dass Sie verändert formulieren? Stellen Sie sich diese Fragen erst recht, wenn Sie als Führungskraft, in öffentlich wirksamer Funktion oder in der Geschäftsleitung eines Unternehmens tätig sind. Denn der Gebrauch von „dürfen“ in einer hierarchisch höheren Position läuft immer Gefahr, vom Gesprächspartner missverstanden zu werden. Das Kommunikationsquadrat von Friedemann von Schulz von Thun – Sie kennen es sicher – lässt grüßen!
Wenn Sie also wirklich höflich, bestimmt und wirkungsvoll kommunizieren wollen (anstatt verdeckt von „oben herab“), dann reflektieren Sie Ihren Wortschatz und Ihre Wortwahl in bestimmten Situationen. Denken Sie an Peter F. Drucker, und betrachten Sie auch Ihre Kommunikationsmuster „mit den Augen Ihres Gegenübers“.
Verzichten Sie beispielsweise auf die Pseudo-Höflichkeitsformel „Sie dürfen …“.
Übertragen auf das Beispiel „Sie dürfen hier Platz nehmen.“: höflich und wertschätzend, gleichzeitig auch klar und bestimmt klingt es, wenn Sie sagen: „Bitte nehmen Sie hier Platz.“ Das Ziel ist in beiden Formulierungen identisch: die andere Person soll sich setzen, idealerweise am von Ihnen empfohlenen Platz. Die Wirkung auf die angesprochene Person jedoch ist zwischen beiden Formulierungen höchst unterschiedlich. Auch hier gilt: Der Ton macht die Musik. Das Wort bestimmt die Stimmung.
Viel Erfolg wünsche ich Ihnen mit diesen "Gedanken für die Praxis". Ihr Peter A. Worel
Den gesamten Text als pdf hierzu erhalten Sie mit nachfolgendem Link:
Gedanken für die Praxis – Nr. 45.pdf